Jule überlegte nun doch ernsthaft, ob der letzte Cognak, den sie sich genehmigt hatte, nicht einer zu viel gewesen war. Konnte Cognak Halluzinationen hervorrufen? Akustische? Nein, sicher nicht, entschied sie und lauschte erneut. Wobei sie sich nicht anstrengen musste... der Lärm war fast ohrenbetäubend. Von jenseits des Hauses kam er, um das Haus herum, durch die Gasse, kletternd an den Fassaden, an die Fenster schlagend, breit in Vorgärten und auf den Balkonen. Am nächtlichen Himmel – auf dem Rücken liegend blickte Jule genau hinein – funkelten die Sterne, blinzelten, zwitscherten lautlos. Und die Flugzeuge, die eins nach dem anderen über die Flugrampe des Giebels schoben, durchstreiften den Himmel. Keine Wolke hatte der Tag übrig gelassen. Alle vertrieben, von der Hitze aufgezehrt. Jule suchte das Sternbild des Großen Wagens, fand es nirgends und überall. Derweil von jenseits des Hauses... brandete der Lärm an die Balustrade, stürmte sie, jetzt da, Tumult in Ohrmuscheln, Lautüberfall! Jule blickte zur Uhr. Es war Samstag und bald Mitternacht. Was für ein Lärm! Sie könnte aus dem Küchenfenster sehen, überlegte sie und verwarf die Idee sogleich. Sie ortete die Lärmquelle in Richtung Bahnhof. Dorthin versperrte der Anbau des Hauses die Sicht. Es klang nun monströs. Ein Schnaufen und Stampfen, das sich nur langsam fortbewegte, sich langsam näherte. Auf der Straße, dachte Jule, oder von den Gleisen her. Vor ihrem inneren Auge sah sie traurige Lichtaugen, eine gigantische, unglückliche Maschine, die mitten in der Nacht und einsam die Straße pflügte. Eine Invasion... von Außerirdischen? Von Unterirdischen vielleicht? Der Lärm schwoll weiter an. Als fräße das traurige Getüm Steine... es schnaufte und stampfte und polterte und arbeitete sich voran. Es wird um die Ecke kommen! Erwartungsvoll spähte Jule von ihrem Lager aus unter der Balkonbespannung hindurch. Zitterten da nicht die Straßenlaternen? Ganz deutlich spürte Jule den Boden beben – schnauf, stampf, polter – in genau diesem Rhythmus. Von dem Koloss war immer noch nichts zu sehen. Der Dämon stieg von seinem metallenen Ross. Er hatte sie vernommen, und sie widerte ihn an... Neugierde! Nein, da konnte er nichts verrichten. Wo man ihn anders als in Furcht erwartete... da nicht! Er stieg von seinem metallenen, ungetümen Ross und warf sich vor ihm auf die Geleise. Die Maschine – schnauf, stampf – fraß die Steine – polter – und sie rumorten in ihrem Bauch. Ein Stöhnen entrang sich dem Getüm, als es den größten Bissen nahm, sperrig würgend in der langen Speiseröhre. Er zerschlug polternd zwischen dem Gestein. Dann als der Bauch voll war, fast zum Bersten voll, und kein weiterer Stein passte mehr hinein, da endlich öffnete die Maschine die Darmpforte, und während sie weiterzog, leichtatmiger jetzt, leichter, legte sie eine neue Spur von Steinen ins Bett. Jule hörte sie davonziehen, bis die Fährte der klackernden Steine verscholl. Eine Bettungsreinigungsmaschine, dachte sie sich gerade noch schlau und wunderte sich, dass sie nachts arbeitete... Aber wann sonst?... als auch schon die Sterne sie in den Schlaf blinzelten. Die Flugzeuge blitzten Lichtflecke auf die Traumbahn. Der Gleisabschnitt vor Jules Haus aber ist seither rot. Die Kirchgänger munkeln, man hätte das Gleisbett mit Höllengestein gefüllt. Die Kinder gehen seither respektvoll und abseits der Geleise. Nachts hören sie die Steine flüstern. |