"Schau mich an!" befahl Camilla. Und gleich darauf, als ich nicht gehorchen und meine Blicke gerade auf Abwege geraten wollten: "Schau mich an!" Eindringlich, fast flehentlich. "Aber Camilla Kleines, ich kann dich doch nicht die ganze Zeit über angucken." "Du musst!" "Ach was." "Doch, du musst. Du musst, du musst, du musst! Weil, wenn du wegguckst, dann gibt es mich nicht mehr!" Ich lächelte, und da lächelte auch sie. Dann tanzte sie vor mir auf dem Weg, hüpfte auf den Bordsteinkanten, drehte sich im Kreis, so dass ihr Röckchen wie ein Teller um sie schwang. Dazu zwitscherte sie ein Liedchen. Ich lauschte, konnte die Worte aber nicht verstehen. "Camilla, was singst du denn da?" "Ein Lied!" "Ja, ich weiss, dass es ein Lied ist. Aber wie geht es? Sag es mir!" Sie legte den Kopf schief, täuschte angestrengtes Nachdenken vor: "Oh, ich weiss es nicht." "Aber Camilla, du hast es doch gerade eben noch gesungen!" Diesmal fiel das Nachdenken noch angestrengter aus. "Und wenn ich es dir sage, versprichst du dann, nicht wegzugucken?" "Du lässt mich doch sowieso nirgends sonst hingucken." "Versprichst du es?" "Ja, ich verspreche es!" Da stand sie vor mir und schaute mich mit großen Blauaugen an. "Ja und? Wie geht das Lied?" "Aber du darfst nicht weggucken!" "Ich guck nicht weg." "Ehrenwort?" "Ehrenwort!" "Auch nicht eine Sekunde?" "Auch nicht eine Sekunde!" "Auch nicht eine klitzeklitzekleine Sekunde?" "Nein, nicht mal eine klitzeklitzeklitzekleine Sekunde lang!" --- "Wie geht das Lied?" "Komm runter!" winkte sie mich in die Hocke. Dann formte sie mit ihren beiden warmen Händchen eine Höhle um mein Ohr und flüsterte hinein. Ich rückte ab. "Camilla! Du sollst mir nicht ins Ohr spucken!" "Mach ich nicht!" "Versprochen?" "Versprochen!" "Also gut, wie geht das Lied?" Wieder formten sich die Händchen um mein Ohr. "Und das geht so", lauschte ich ihren wispernden Worten. "Die Liebe ist ein Wunder, sie blüht in deinem Herzen. Und brennt in dir viel heller noch als tausend, tausend Kerzen." "Wo hast du denn das gelernt, Camilla?" "Noch nicht fertig!"... Also geduldete ich mich. "Schau niemals weg von diesem Hort der Liebe, denn sonst ist sie fort!" "Wo hast du das denn gelernt, Camilla?" "Weiß nicht mehr." Und schon wirbelte sie wieder herum. Ich schaute ihr nach und lächelte. Wie hatte ihre Mutter sie mir anvertraut? – "Aber lass sie mir nicht aus den Augen!" "Nein, natürlich nicht." – Und dann war ich mit Camilla losgezogen. Durch den Park spaziert, den kleinen Kreisel an der Seite. Da vorne stand eine Bank. Gut, um sich ein Weilchen hinzusetzen, dachte ich. "Schau Camilla, da vorne ist eine Bank!" rief ich dem roten Röckchen zu. Dann setzte ich mich. Camilla bluehte wie junger Mohn auf dem grünen Rasen. In der Handtasche kramte ich nach der Zigarettenpackung. Ja, wo denn? – nahm die Tasche auf den Schoß, kramte zwischen Portmonee und Taschentücher. Endlich fand ich die Zigaretten. Gleich darauf ein befriedigender Zug. Als ich mich umblickte, war Camilla verschwunden.
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