Das Höllengleichnis (nicht von Platon)

©opyright Jens Richter, 1998
barrierefreie Version dieser Seite

Einst lebten die Menschen zufrieden in einer Hölle. Der Teufel war ein exzellenter Zeremonienmeister, zeigte gerne mehr oder weniger frivole Schattenbilder, mixte verteufelt gute Cocktails, ließ den Teufel einen guten Mann sein, kurz, lebte wie der Teufel in Frankreich.
Trotz dieser Idylle gab es einen wunden Punkt, nämlich die Tatsache, dass, wie auf Schattenbildern üblich, nichts so ganz deutlich zu erkennen war. Das wurmte natürlich die Phantasieloseren unter den Zeitgenossen teuflisch. Sie wollten mehr sehen. Sie bestürmten den Teufel, er möge doch nicht so sein, er solle doch mal einen anständigen Farbfilm zeigen, wo man so ganz genau, er wisse schon Bescheid. Doch der Teufel ließ nicht mit sich reden. "Ihr schnöden Hornochsen", sprach er mit teuflischem Grinsen, "ihr geilen Buben! Ich kenne die Originale! Seid bloß froh und dankt dem Teufel, daß ihr nur die Schatten zu sehen bekommt!"
Die meisten vertrauten dem fachmännischen Rat des Teufels. Einer jedoch war unter ihnen - Wohlmeinende nannten ihn den 'Querkopf', weniger Wohlmeinende den 'Quatschkopf' - der einfach nicht zufrieden war. "Teufel", drohte er, "wenn du uns die Wahrheit nicht zeigen willst, hau' ich ab aus der Hölle und guck' mir die Sache bei Licht an!"
Der Teufel stellte sich breitbeinig, die Arme verschränkt vor den Mann und antwortete höhnisch: "Ach, du willst die Wahrheit wissen? Wirklich? Willst du das wirklich?" Und der Teufel packte ihn, gab ihm einen Tritt, der Mann flog aus der Hölle, und der Teufel schloß mit höllischem Knarren das Höllentor.

Der Mann richtete sich mühsam auf. Er hatte die Augen fest verschlossen, denn das Licht war schmerzhaft grell, und einige Zeit konnte er gar nichts sehen.
Ganz langsam gewöhnten sich die Augen ans kalte helle Licht. Und er sah die Wahrheit. Und noch nie hatte er Erbärmlicheres gesehen, noch nie hatte er eine Leere und Trauer gefühlt wie jetzt. Und er sehnte sich zurück nach den Schattenbildern, nach den Träumen, vergeblich. Die Hölle blieb für ihn verschlossen. Er konnte nichts tun, als vor dem Eingang zur Hölle zu warten, bis der Zorn des Teufels verraucht sein würde.

Gelangweilt sitzt er noch immer da und wartet darauf, daß ihn doch endlich der Teufel holen möge.


Lyrik & Prosa von Jens Richter