Omanns Nachbar

©opyright Jens Richter, 1999
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Sein name verfolgte ihn. Dieser lächerliche name. Im Kindergarten fing das schon an. Von der Kindergärtnerin bis zur blöden Ute. Alle verhöhnten ihn seines namens wegen.
Sie sprachen über die wunderbare Natur, über die Geschöpfe des Herrn, die Butterblume, den Eichelhäher. All diese Geschöpfe haben schöne, passende namen. Die Ente zum Beispiel. Klar, dass die auf dem Wasser schwimmt. Alles hat seine Ordnung. Die Sterne steh'n am Himmelszelt. Den Regenwurm wurmt der ewige Regen. Und dann das!

In der Schule wurde es schlimmer. "name?" Der Lehrer gluckste schon, die Mitschüler lagen mit rotem Kopf auf ihren Unterarmen. Ypsilonmann musste aufstehen und seinen lächerlichen namen stottern. "So was!" Der Lehrer hielt sich die Seiten vor Lachen, "so viele blöde namen habe ich schon gehört - aber das? Mensch, Ypsilonmann, wie kommt man denn zu einer solchen Rarität?"

Der einzige Schüler, der nicht lachte, sondern wie Ypslisonmann mit den Tränen kämpfte, war Omann. 'Omannomann, dieser Omann'. Mit diesem Ulk unterhielten sich Lehrer und Schüler auf seine Kosten.

War der name schon Gegenstand derber Verspottungen, so war die Hänselung wegen der Religionszugehörigkeit noch viel ärger. Ypsilonmann und Omann versuchten mit allen Mitteln, ihre Konfession zu verschweigen. Glücklicherweise sahen beide nicht wie typische Vertreter dieser Glaubensrichtung aus. Ypsilonmann hätte man zur Not ebenso für einen Buddhisten wie, sagen wir, Islami oder Indianer halten können. Omann sah nach gar nichts aus. So blieben wenigstens die peinigenden Fingerzeige aus.
Aber was half's? Irgendwann wurde die direkte Frage gestellt. Dann versuchten sie aus Angst vor dem fälligen Spießrutenlauf, die Sache zu umschreiben - "Glauben wir nicht alle an jenes höhere Wesen?" - "Ach, wissen Sie was? Warum drum herumreden? Ich sag's nicht!"

Da gab es dann Wohlmeinende, die nur süffisant lächelten, während sie auf das Formular das Kreuzchen kreuzten. Andere kosteten das Vergnügen aus. "Ach, nun sag's doch, bitte bitte. Schau, soll ich hier vielleicht Hindu hinkreuzen? Na also. Aber wo wir schon von Kreuz sprechen..."

Omann und Ypsilonmann wünschten sich in solchen Augenblicken, dass sich doch endlich die Erde auftäte, sie endlich verschlänge, hinab in die Hölle, wo man vielleicht nicht gar so neugierig sein würde. Nichts da. Der Linoleumfußboden blieb trutzig und fest.
Die Schweißperlen erweichten nicht, sondern erheiterten den Beamten. Die Prozedur ging weiter. "Oder seid ihr vielleicht...nun, wir wollen doch mal sehen. Ihr seht eigentlich nicht typisch aus, aber das sagt nichts aus. Im Gegenteil. Die meisten sehen nicht danach aus..."

Dabei wurden Omann und Ypsilonmann nicht regelrecht verfolgt oder gewaltsam attackiert. Es waren diese Randbemerkungen. "Na ja, bei Ihnen weiß man ja, dass..." "Wie fühlt man sich eigentlich als..." Und wenn sie sich irgendwo hinwandten, vernahmen sie noch kleine Wortfetzen "Wissen Sie eigentlich, dass die Beiden..."

Auf die Dauer strapazierte diese ganze Geheimniskrämerei ihre Nerven derart, dass Omann und Ypsilonmann beschlossen, jeden Widerstand aufzugeben. Gleich in der Früh gingen sie los und riefen laut und heiter: "Ja! Wir sind Christen! Ja, wir gehen in die Kirche! Was ist denn schon dabei?"

Da haben die beiden eigentlich recht. Was ist denn schon dabei?


Lyrik & Prosa von Jens Richter