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Halb acht

Copyright Iris Hoth, 1998
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Der Korken will überhaupt nicht rausgehen. Millimeter für Millimeter wuchtet Sonja ihn aus dem Flaschenhals, nimmt ein Küchentuch zur Hilfe, um die Flasche festzuhalten, die sich eher mitdreht als dass die eiserne Schraube in den Korken dringt. Trotz des freundlichen zweiarmigen Helfers... drehen, wuchten, drehen, wuchten... nicht Sisyphos' aber doch ein mühseliges Werk. Nun gut, alles will verdient sein. Sie schaut auf das drehende Gewinde, um das sich ein Kranz bröselnden Korkens legt, Mühsal und Drangsal, während ein feuchtheißer Gedanke ihr just einen lohenden Keil in die Scham treibt. Na so was! Sonja nimmt ihn beiläufig zur Kenntnis, hat aber jetzt Wichtigeres zu tun. Der Gedanke kommt in die Schublade, während der bedolchte Korkenheber unter ihrer Führung – Macht, durchströmt es sie für Sekundenbruchteile – langsame aber ganze Arbeit tut. Endlich. Auf dem entpfropften Flaschenhals, auf dem schmalen Sims aus Glas zwischen schweißatmender Luft und kühlem Vergessen markiert der trocken zerstäubte Kork die Schwelle. Willst du wirklich? fragt das Gespenst, das eben auf der aufsteigenden Duftsäule tanzt. Geh mir aus dem Weg! befiehlt sie, und das Gespenst gehorcht sofort.

In letzter Zeit trinke ich gerne mal ein Glas Wein. Weißt du, ich schlafe schlecht. Da geht es leichter. Da vergisst's sich, nein, ich weiß nicht was. Ein Schluck, und schon geht es mir besser. Ist's wohlig und renne ich nicht mehr den ungeordneten Gedanken hinterher. Nur die Ruhe, ihr Brüder und Schwestern. Samt der Mutter lege ich euch in Windeln. Nur die Ruh, ich schließ die Türen zu. Das jetzt rot gefüllte Glas und ein ironisches Lächeln, als Sonja dem halb schwimmenden Profil ihres Gegenübers zuprostet. Der Spiegel posiert zwei Meter von ihr entfernt. Gut! deutet sie in das Spiel zwischen Du und Du, bereit das wache Wesen, jenes unerträglich wahrheitsliebende, unentwegt mahnende zwischen Mittelohrknöchelchen und Fontanelle zu betrügen. Na und? Es ist nur einmal mehr. Es lässt sich in den Spülstein schütten, mit etwas Wasser, das Staub und Blut bindet, ein kühler Blick kontrolliert sein Entschwinden im Ausguss. Kein Triumph. Seine Auferstehung ist so unvermeidlich wie Vogelgezwitscher im Sommer. Jetzt aber Ruhe.

Jetzt! Kein Film, keine Musik, kein weichspülender Traum. Nicht einmal Sehnsucht. Zu früh am Tag, als dass Dunkelheit sich verpacken ließe in eine Kerze und in einen Duft. Bestenfalls Halbdunkel durch heruntergelassene Jalousien. Selbst dafür zu lieblos, sich die Zeit zu nehmen. Sie feiert ihr Selbstmitleid zynisch, verzichtend auf die Watte der Gemütlichkeit. Zwo, drei, vier... keine Zeit dafür! Außerdem... was soll es ihr wert sein?

Von nun an heißt es Achtgeben! Der Wein will im rechten Maß getrunken sein. Nicht zu schnell - sie muss die Übelkeit auf der einen Seite ebenso vermeiden wie das elastisch schmiegsame Gemüt auf der anderen. Nicht zu langsam - sonst schwimmt das Bewusstsein obenauf und springt sein Dämon auf der Zinne. Die Gedanken versteigen sich, jene denen sie doch entkommen will.

Sie erinnert sich an früher und an die Zukunft. Zwischen den Meeren der Vergessen machenden Sucht und der planvollen Vernunft, das weiß sie, liegt ein anderer Ozean. Lange kreuzbar, ehe ein Kanal sie saugt, hier wie dort Unvorstellbarkeit. Den karreeschleichenden Reim repetiert sie, ihr Schritt war in seinen Rhythmus verfallen... damals: "Ich bin drogensüchtig, das ist richtig, das ist richtig", und hatte ihrer suchenden Begierde Ausdauer verliehen. Lächelt, Prost... hiervon so weit entfernt wie von digitalem Ziffernblatt, Vergessen machender Arbeit, planvoll maßvoll leben. Ein letztes Wahrnehmen in Richtung ihres begehrlichen Unterleibs. Dann phantasietötend Dämmerung.

 

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