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Interieur eines Sonntags

Copyright Iris Hoth, 1999
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Bett

Der Himmel steht auf der Kippe zum Tag. Nein, der Entschlussfreudigste ist er nicht. Auch kein Vogel mehr, der ihn angespornt hätte, sie sind alle schon ausgewandert. So ist er also allein da draußen, der Himmel. Allein in der unendlichen Weite, die er überspannt. Allein. Und nur ein entferntes Dröhnen - ein Zug? - mahnt die Morgenstunde an. Und dann... Wird er etwas von seiner Bläue zeigen? Oder wieder den ganzen Tag nur im Morgenmantel herumlungern, ohne richtig wach zu werden? Lohnt es sich überhaupt aufzustehen?

Nein, die Entschlussfreudigste ist sie nicht. Stattdessen verschränkt sie die Hände unter der Decke. Schön warm und weich ist es da. Und sie ist allein in diesem Bett. Allein in der warmen Geborgenheit zwischen Laken und Überwurf. Und sie ist so müde wie der Himmel und fühlt sich nach drinnen so unendlich wie er. Als spiegelte sie ihn. Als spiegelte er sie. Noch können sie miteinander verschmelzen, der Himmel und sie. Eine halbe Stunde weiter löscht das Licht die Illusion. Nun, was ist das schon? Was Wirklichkeit und was nur eine spinnerte Idee? Sie schließt die Augen. Sie atmet Ewigkeit, vermischt mit dem Duft der noch nachtschlafenen Kissen. Sie riecht ihre weiche Haut. Sie ist glücklich.

Am Fußende sitzt Bastet, das Katzentier, mit grünen Leuchtdioden. Sie schaut ihr mit stiller Wachsamkeit ins Gesicht. Der Mensch hat geblinzelt. Ist er wach? Sie setzt die zierliche Tatze auf den weichen Berg. Vier Kilogramm Katze tatzen auf ihre Blase. Sie spannt den Schließmuskel. Sie reckt den Arm, ihre Hand liebkost der Katzenkopf. Sie setzt sich auf. "Guten Morgen, meine Liebe", erwidert von deren sanften Schnurren.

 

Stuhl

Der Himmel ist ein guter Freund. Ein zuverlässiger Freund ist er. Das weiß sie. Denn er ist immer da. Alle Launigkeiten ertragen sie gemeinsam. Sollte er einmal nicht mehr da sein, dann wird es auch sie nicht mehr geben. Die einfachste Gleichung einer Beziehung, denkt sie sich. Auch zu ihrem Kaffee hat sie eine Beziehung, anders aber ähnlich zuverlässig. Sie brüht ihn auf, und er steht zur Verfügung. Jetzt dampft er in der Tasse. Er riecht gut. Er riecht danach, die Locken um den Kopf zu schütteln und sich frei zu fühlen, das Gesicht zu heben und frei zu sein, nach Unternehmungslust und einem schönen Tag. Sie hat keine Ahnung, was sie mit diesem Tag anfangen, ihm schenken, sich von ihm schenken lassen will. Vorerst hat sie eine Scheibe Brot mit Marmelade darauf. Und sie hat eine Apfelsine. Sie hat Muskelkater, weiß aber nicht wovon. Der Muskelkater sitzt in Waden und Schenkeln, aber sie weiß nicht wovon. Sie überlegt, was sie getan hat... am Samstag und am Freitag... sie weiß es nicht mehr. Sie weiß es, aber es zählt nicht mehr. Sie war arbeiten am Freitag. Sie wird es morgen wieder tun. Montag, eine furchtbar kurze Endlichkeit entfernt, schnell weg. Am Samstag hat sie eingekauft. Wie sie es jeden Samstag tut, zwischen den Regalen auf der schnellen Pirsch, raff raff raff in den Einkaufswagen, die Schleuse in die Freiheit blockiert von Jung, alt, Rentengeschwader, Kinderquängeln, einsamen Müttern, gerädertem Drahtgestell, einem missmutigen Kassengesicht, schnell weg von da.

 

Sessel

Da blitzt ein Sonnenstrahl durch das Fenster. Er macht das Fell der Katze leuchten. Nun sieht sie aus wie eine rote Unschuldsteufelin, leckt sich das Gewöll. Zeitlos elegant. Eine Musik könnte spielen. Eine Musik im Zimmer... schöbe sich hinter den Vorhang der Träume. Tatsächlich gibt es ein Leben außerhalb dieser Wände. Sogar abseits von Einkaufswagen und Arbeit... gibt es ein Leben! Es schlendert über die Plätze, es macht vor Schaufenstern halt, korrespondiert mit Schmuckauslagen und Hamburgern. Es sitzt in den Lokalen, schweift Blicke... Wer ist da? Viel bis nichts weiß sie von diesem Leben, sie weiß: In einer lauen Abendatmosphäre wollen die Sterne alleine sein. Und jeder der einzige und unbezahlbar. Und blind und vereinzelt träumen sie. Sie sind ausgespuckt, noch ehe die Serenade verklingt. Und am nächsten Abend werden sie wieder auferstehen.

Aber es ist Tag. Tag! ruft sie sich ins Gedächtnis. Es könnte regnen, und es wäre derselbe Tag. Es könnte Feuer speien, es könnte die Erde beben... nichts rührt die Zeit. Wie spät ist es überhaupt?

 

Fernseher

Es ist elf Uhr. Die Nachrichten sind die von gestern. Der Balkan sitzt in ihrem Zimmer. Der Bundeskanzler hat Mundgeruch. Auf Sizilien ist der Ätna aktiv (es könnte Feuer speien...). Sie betrachtet die Silhouettenköpfe derer, die den Ätna betrachten, die glühende Asche, den Lavastrom. Es musste ein faszinierendes Naturschauspiel sein, so nah dran. Es musste einem das Gefühl geben, erhaben und selten, mit etwas Großem in Berührung gekommen zu sein. Der Himmel fällt ihr wieder ein. Er hat sich zwischenzeitlich für das graue Ensemble entschieden, residiert bewegungslos. Ob die Gallier tatsächlich glaubten, er könnte ihnen auf den Kopf fallen? Der Luxus des Wissens... da können Menschen einen Feuer speienden Vulkan bestaunen, ergriffen und furchtlos, oder eine Sonnenfinsternis. Keine Götter mehr, alles entzaubert. Seit der Zähmung des Feuers sind die Seelen ausgestorben. Der Ätna hat nicht mal mehr eine Unterhose an. Auch der Himmel nicht. Auch sie nicht. "Wenn du vor jemandem Angst hast", hatte die Mutter sie gelehrt "stell ihn dir nackt vor!" Die Menschen mussten grosse Angst haben vor allem und vor dieser Welt, um sie so gründlich auszuziehen.

So sitzt sie da. Und so denkt sie vor sich hin. In einem kurzen Moment, in dem ihre Gedanken aufreißen wie die Wolkendecke, sieht sie, dass die Nachrichten längst gesendet sind. Blondschöpfige Kinder lachen vom Schirm. Sie stellt den Fernseher aus und die Musik lauter. Sie beschließt, dass sie Hunger hat.

 

Herd

Sie durchforstet die Schublade des Tiefkühlschranks. Gebackener Camembert, Calamaris, Schnecken, Garnelen... entscheidet sich für letztere. Sie schätzt kleine Leckereien wegen ihrer einfachen Zubereitung. Die Pfanne schmilzt das Fett, das Fett brutzelt die Garnelen braun, der Toaster gibt zwei Scheiben Brot dazu heraus. Sie braucht keine Töpfe, obwohl sie viele Töpfe hat. Alles lässt sich in der Pfanne zubereiten. Sie braucht keine Schalen, obwohl sie viele Schalen hat. Alles isst sie von demselben Teller. Sie braucht wenig, obwohl sie viel hat. Und das Viele rückt ihr manchmal so erdrückend nahe, dass sie es am liebsten los wäre. In den Müll damit oder es verschenken. Aber wer nimmt schon was geschenkt? Sie wirft nichts weg, weil sie es ja doch einmal brauchen könnte. So hat sie die Schränke voller Unrat, der sich als Hausrat tarnt.

Bastet sitzt auf der Anrichte und schaut ihren Handgriffen zu. Es zischt in der Pfanne, da weicht die Katze vorsichtig zurück. Gleich hängt der Rauch von Gebratenem im Zimmer. Er kräuselt sich unter der Decke, staut sich von da nach unten. Sie macht das Fenster auf. Der Herbst steckt seine feuchte Hand herein. Sie lacht. Die Luft fließt in sie hinein, sie fühlt ihre Lunge voll und frei.

Als Kind hatte sie Gas für ein Phantom gehalten. Sie hatte dem Lehrer nicht glauben wollen, dass es Stoffe gibt, die keinen Körper haben. Dann hatte er ein Bergfeuer entzündet auf seinem Tisch. Es wölkte roten Rauch ins Klassenzimmer. Und als sie daran roch, zwickte es sie im Hals. Seither weiß sie, dass Körper fließen können.

Sie zählt fünf Garnelen, sie schlägt sie in ein Tuch, sie legt sie auf Eis. Die restlichen Garnelen beheizt sie auf kleiner Flamme. Im Radio spielt ein schönes Lied, dessen Titel sie nicht kennt. Sie geht ins Wohnzimmer, aufmerksam für eine Titelansage. Aber es kommt keine. Sie geht zurück in die Küche zum Herd, nimmt die Pfanne von der Platte, wirft ein Stück Kräuterbutter hinein. Ist zu ungeduldig, stellt die Pfanne auf die Platte zurück, schiebt die Garnelen mit dem Küchenfreund über den Pfannenboden, dann auf den Teller. Sie prüft die Temperatur der gekühlten Garnelen, noch mehr als lauwarm, gibt sie trotzdem in Bastets Napf und setzt sich dann mit ihrem Teller an den Tisch. Die Katze schaut zwischen Tisch und Napf hin und her, folgt einem aufmunternden Fingerzeig des Menschen, nimmt eine Garnele auf die Kralle und schleudert sie davon. Gleich darauf springt sie dem Fluchttier hinterher.

 

Diele

Sie ist unentschlossen. Und so steht sie in der Diele, die in alle Zimmer verzweigt, und weiß nicht, welche Richtung sie einschlagen soll. Was tun? Am Ende gar etwas Sinnvolles? Aber sinnvoll, was ist das? Ist Bügeln sinnvoll, Falten aus Kleidern zu dampfen? Und doch unerlässlich. Wie Waschen, wie Spülen, wie Schuhe putzen, wie... Dabei wandert ihr Blick über die Wand mit den kleinen Flecken darauf. Jeder Fleck das Dokument einer siegreichen Schlacht die Schnaken, die sie mit einem Zeitungsrohr bewaffnet anstatt zu schlafen in der Nacht erschlagen hat. Wie müde war sie da oft gewesen... morgens, wenn der Wecker Alarm schlug. Wie hatte sie da schon wieder kämpfen müssen... gegen Traum und warmes Bett und So-gerne-liegen-bleiben. Und wie hatte ihr noch auf der Fahrt zur Arbeit der Kampf im Nacken gesessen. Da unterschieden Sommer und Herbst sich nicht, auch wenn es keine nächtlichen Schlachten mehr gab. Der morgendliche Kampf war zudem einer gegen die Dunkelheit. Die Dunkelheit drinnen erschreckte sie mit einem Schalterdruck, nachtmordendes Licht, während die Augen sich schnell hinter wimpernstreifiger Wehr verschanzten. Die Dunkelheit draußen blieb sie selbst. Und wenn sie im Auto saß, die Scheinwerfer Schneisen auf die Straße schnitten, saß die Nacht auf dem Beifahrersitz. Sie redeten wenig, tauschten Belanglosigkeiten aus, bis das Gespräch verstummte. Und mit jeder Kreuzung wurde der stille Beifahrer durchsichtiger, hatte sich schließlich aufgelöst, noch ehe sie die Firma erreichte.

 

Tisch

Sie hat den Müll nach draußen gebracht. Sie ist zum Briefkasten gegangen. Sie hat die Inserate des Vortages und das Sonntagmorgenblatt in den altpapiercontainer geworfen. Sie hat auf dem Parkplatz gestanden und die Autos gezählt. Sie hat wieder darüber gestaunt, wohin alle Menschen fahren, wo sie unterwegs sind und wo zuhause, wenn an einem Sonntag, wie an jedem Sonntag, der Parkplatz leer ist. Sie ist ein bisschen hin und her gegangen, hat tief ein- und langsam ausgeatmet. Nun fühlt sie sich frisch. Als sie die Wohnung wieder betritt, ist sie voller Tatendrang.

Sie hat ein Buch, in das sie Dinge zeichnet. Sie zeichnet die Dinge, die sie sieht. Sie zeichnet ein Kissen mit gespitzten Ohren. Sie zeichnet die Katze, die ein Kissen ist. Der Kaktus hat Ohrenwärmer auf und die Kerze eine rote Schnupfennase. Sie liebt ihr Zeichenbuch. Es ist aus billigem Papier, das sich wellt, wenn sie es nass macht. Deshalb quillt das Buch auf wie die Hälften eines Hamburgers. Auch den hungrig offenen Mund eines Hamburgers hat sie schon gemalt. Manchmal macht sie einfache Bleistiftskizzen, aber gerne greift sie auch zu Farben. Sie hat wasserlösliche Buntstifte. Mit dem feuchten Pinsel kann sie die Zeichnung nachträglich zum Aquarell verwischen. Sie hat auch Filzstifte und Wachsfarben, sogar Kreide. Sie hat ein Bild mit buntem Flüssigkleber gemalt. Sie zeichnet viel besser als Hundertwasser, aber nicht annähernd so gut wie Bosch. Wenn ein Bild ihr besonders gut gefällt, legt sie das Buch neben sich hin und überträgt das Bild auf großflächigen Plakatkarton. Aber es ist nie dasselbe wie das Original. Es ist nie so gut. Es ist dieser gewisse Glanz im Auge, es ist jene geheimnisvolle Falte im Gewand, die sie bezaubert hatten. Es ist ihr noch nie gelungen, genau diesen Glanz, genau diese Falte auf das große Bild zu kopieren. Sie hält sich für nicht sonderlich begabt, obwohl sie von den großen einige Bilder verkauft. Sie verkauft sie leichten Herzens, bleibt doch das kostbare Original behütet in ihrem Buch.

Als sie das Buch aufschlägt, strömt ihr der Duft der Farben entgegen. Sie duften wundervoll. Wenn sie unglücklich ist, nimmt sie ihr Buch und schlägt es auf und träumt auf den sanften Wellen.

Sie ist glücklich. Sie zeichnet ein geflügeltes Deckenlicht und die Palme, die sich neugierig den Hals verrenkt.

 

Kühlschrank

Als sie aufblickt, ist es später Nachmittag, und sie hat wieder Hunger. Der Kühlschank ist, wie jeden Sonntag, gut bestückt. Einmal mehr an diesem Tag kann sie wählen. Sie wählt einen großen Schokoladenpudding mit Vanillesoße, der so gut schmeckt, als hätte sie ihn selbst gekocht. Sie löffelt ihn stehend und gleich aus der Plastikschale. Sie überzeugt Bastet mit einem Löffelchen in den Napf, dass der Pudding ihr nicht schmeckt. Die Katze bleibt trotzdem argwöhnisch, verlangt weitere Beweise, die sie ihr aber vorenthält. Stattdessen löffelt sie schneller, und der Pudding liegt ihr kalt im Magen. Sie hat Lust auf Warmes.

 

Badewanne

Sie gönnt sich Warmes. Sie gönnt sich eine ganze Badewanne voll davon. Sie hat Melissenöl ins Wasser gegeben. Der frische Duft verwöhnt ihre Seele. Gleich darauf das Wasser ihre Haut. Heiß! – vor allem an den kalten Fußsohlen, dann an den empfindlichen Waden. Sie schlüpft vorsichtig durch den brennenden Wassersaum in die Wanne, sitzt mit aufgestellten Knien. Sie streckt langsam die Beine, schauert genüsslich in der Hitze. Nun lässt sie sich tief in die Wanne gleiten, bis das Wasser ihren Hals säumt. Sie lässt die Arme auf der Oberfläche schwimmen, wie zwei schlanke junge Baumstämme, die die Wellen umtanzen. Sie treiben auseinander, und die Hügel ihrer Brüste erstehen aus dem Wasser auf. Sie liegt und saugt die Hitze in ihre Nervenenden. Einen wundervollen Moment lang durchschwemmt die Hitze sie, sind das Drinnen und das Draußen ihrer Haut nicht mehr getrennt. Sie weiß, dass Körper fließen können. Sie will nie wieder aus der Wanne steigen.

Sie steigt aus der Wanne. Als das Wasser kühler scheint als ihre Innentemperatur. Als es sie frieren macht. Und auch heißes Wasser nachlaufen zu lassen, ändert daran nichts mehr. Da steigt sie aus der Wanne, legt sich den flauschigen Bademantel um, bindet ihn in der Taille. Frottiert das lange Haar, bindet das Handtuch wie einen Turban um den Kopf, steht dann da im kondensierenden Wasserdampf, vor dem beschlagenen Spiegel, dem beschlagenen Fenster. Sie öffnet es. Es ist fast schon dunkel draußen. Erste Lichter gehen in den Häusern an. Sie stützt die Ellbogen auf die Fensterbank. Sie hört einen Spurt von Katzentatzen, dann sitzt Bastet neben ihr. Nun blicken sie gemeinsam hinaus, die Katze und die Frau. Wie zwei, die nichts sagen müssen, weil sie alles verstehen.

 

Kleiderschrank

Sie weiß nun nichts mehr mit sich anzufangen. Der Endspurt des Sonntags geht unerbittlich schnell. Das ist immer so, sobald die Nachmittagsmarke überschritten ist. Stunden zerrinnen zu Sekunden, die noch bleiben, um das Notwendigste zu tun. Sie steht vor dem offenen Kleiderschrank, der sortierten Galerie von Blusen, Röcken, Kleidern, Hosen, Pullovern. Sie sucht nach Anziehbarem für den nächsten Tag. Sie hasst es, am Sonntag an den Montag zu denken. Sie hasst es bis zur letzten Sekunde vor dem Einschlafen. Sie hasst deshalb die Kleiderfrage, stellt sie sich nichtsdestotrotz tapfer. Als sie nicht weiß, was sie wird anziehen wollen, entscheidet sie sich zuerst für bequeme Schuhe und legt passend dazu Hose, Bluse, Jackett heraus. Nun hat sie alle Pflicht getan.

 

Bett

Der Rest ist Lungern. Ein Blick in die Fernsehzeitung, ein weiterer auf die Uhr. Auf dem Nachttisch liegt ein kleines Buch, in dem sie am Vortag zu lesen begonnen hat. "Raschid und der Baum", eine kleine phantastische Erzählung über das Leben und die Zeit. Es ist ein ganz und gar unnützes Buch, in dem sich tausend liebreizende Alltagsgedanken tummeln, sich ihres Charmes bewusst, und sich aufschwingen, Phantasie zu beflügeln. Sie ist Baum, sie ist Dorfplatz, ein staunendes Haus. Das Haus sieht, wie die Menschen, all die Menschen sich vor ihm versammeln. Es sieht ihrem Treiben zu, den Wagnissen, Versäumnissen, Feigheiten und Heldentaten. Und was es auch ist, es zeitigt die gleiche Nacht. Schließlich ist das Haus müde, und anstatt weiter nach draußen zu schauen, zieht es sich in sich selbst zurück, ist Tisch, ist Stuhl, ist Bett.

Wohlig fühlt sie die Wärme ihres Bettes. Es ist die eigene Wärme zwischen Laken und Überwurf und von da auf sie zurück reflektiert. Sie legt das Buch zur Seite und schaltet die Nachttischlampe aus. Sie liegt im Dunkel, schaut in das Dunkel und hört ihren Atemzügen zu. Sie zieht die Decke über die Schultern, will schlafen. Will nicht schlafen, kann es auch nicht. Stattdessen liegt sie mit offenen Augen und beobachtet die nachtschwingenden Schatten. Sie verschränkt die Hände unter der Decke, schön warm und weich ist es da. Sie streichelt die zarte Haut. Sie ist besonders weich an den Innenschenkeln und robuster am Bauch. Aber auch da weich und warm. Sie streichelt und streichelt. Sie streichelt ihre Scham und bringt mit sachkundiger Routine die Kontaktstellen zusammen. Jetzt fließt Strom. Aus dem Geschlecht in die Hände und aus den Händen in ihr Geschlecht. Sie spielt mit den Schüben, greift kurz in die Ewigkeit, gleitet zurück in das Jetzt und Hier. Wie lange war sie nicht mehr mit einem Mann zusammen? Es sind Wochen oder Monate, sie weiß es nicht. Zuerst fand sie keine Zeit für ihn, pflichtbewusst mahnte das Gewissen sie, bis sie es schießlich vergaß, zuerst vorübergehend, dann ganz. Er hatte sich nicht mehr gemeldet, und sie hatte ihn nicht vermisst. Ihr kommt plötzlich die Idee, dass sie alleine sei. Sie erinnert sich, an diesem Wochenende mit niemandem gesprochen zu haben. Also ist sie allein. Sie ist so allein wie der Himmel da draußen, der heute zu dunkel für Sterne ist. Sie richtet ein paar Worte an ihn, erhält Antwort, während er schweigt. Die perfekte Katze beansprucht ihren Platz in ihrem Bett.

 

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