Die InszenierungCopyright Iris Hoth, 1998zur Navigation
Zweifellos war der Kran für die Ausführung des Vorhabens am besten geeignet. Seit einem halben Jahr stand er am Hafen, riesengroß mit seinen bestimmt zwanzig Metern. Man konnte ihn von der ganzen Stadt aus sehen. Ein grandioses Vorhaben braucht einen grandiosen Rahmen. Der Kran war genau richtig dafür. Saskia überprüfte das sofort. Auf dem Weg durch die schmalen Gassen gab es natürlich keinen Kran zu sehen, aber am Ende der Schneise der stadtteilenden Hauptstraße zeigte er wieder seine imposante Silhouette. Ebenso war er vom Park und vom Fluß her zu sehen, von den höhergelegenen Häusern aus sowieso. Saskia prägte sich das Bild des Kranes ein - "Bist du mein Verbündeter bei diesem Plan?" Dann ging sie zurück zum Haus und in ihre Wohnung. Sie mußte nachdenken. "Wer spricht denn mit einem Kran? Das ist doch wohl nicht dein Ernst! Papperlapapp... einsame Menschen sprechen mit ihrem Hund, mit Bäumen und nun... auch noch mit einem Kran? Wer soll das abkaufen? Nein, definitiv NEIN, das kann so nicht stehen bleiben." "Wollen wir alle, keine Frage. Zumindest solange wir jung sind. Aber wer will die Schlußeinstellung sehn? Du liegst da völlig falsch, die Idee taugt nichts. Die Zuschauer werden weitergehen und vermeiden zu sehen, was sie gesehen haben." "Aber sie werden es nicht leugnen können. Sie werden es sehen MÜSSEN!" "Haha, Mädchen, in welcher Welt lebst du? Jeder sieht das, was er will. Und nicht mehr. Es ist nicht mein Job, die Zuschauer zu vergraulen. Nichts da, magnetisieren will ich sie, in den Bann ziehen. Laß dir was einfallen!" "Zum Kichern, wahrhaft ein würdevolles Bild!" "Was ist das überhaupt für ein name? Saskia, so heißen Prinzessinnen, Zarentöchter... Ja, ja, ich weiß, die hieß Anastasia. Was weiß ich, es gab ja nicht nur eine. Aber Saskia, so heißt doch kein normaler Mensch. Damit kann sich keiner identifizieren. Sie ist das Besondere? Ach, Mädchen, da ist aber auch gar nichts Besonderes an ihr, höchstens besonders armselig ist sie. Schau sie dir doch an." "Margit? Ist Margit genehm?... " Margit lehnte sich ermüdet zurück. Sie würde auf halber Höhe scheitern. Konstatierte: Margit, du bist keine Heldin. "Und jetzt? Das war ja wohl ein Blindgänger. Versuch's doch mal mit was Einfachem, du weißt: weniger ist oft mehr." Warum grinst der Regisseur? Der Regisseur grinst, verbeißt sich kaum ein Lachen. "Eine feine Heldin ist das, zu allem zu feige." Mach's doch besser. Idiot! Zwanzig Kilometer Landstraße, bevor sie in den Wald einbog. Drei Kilometer weiter waren die Autobahnauffahrten, diese Straße war morgens viel befahren. Die kleine Brücke kannte sie gut, war zigmal unter ihr hindurchgefahren. Nun kletterte sie die betonierte Seitenschräge hinauf, das Abschleppseil über die Schulter geworfen. Zu ihrem Erstaunen fand sie oben ein Gleisbett. Sie hatte hier nie einen Zug fahren sehen – vielleicht war die Strecke stillgelegt, zwischen dem Schotter wuchs Gras – hatte den Übergang für eine Fußgängerbrücke gehalten. Sie zog das Ende des Seils durch die Schlaufe des anderen, das gab eine gute Schlinge, die sich selbst zuziehen würde. Dann legte sie das Seil um einen Pfosten des Brückengeländers und schloß den schweren Eisenhaken. Das würde allemal halten, es war schließlich für ein ganzes Auto konzipiert. Margit legte die Schlinge um ihren Hals und zog sie fest. So stand sie auf der Brücke. "Wie ein angebundener Hund. Und jetzt? Springt sie, oder springt sie nicht? Was soll das Ganze? Na gut, laß sie springen, dann kann ich wenigstens nach Hause gehn." "Springt sie jetzt endlich?" "Die letzte Zigarette! Sie wird doch wohl eine letzte Zigarette rauchen dürfen." "Ach, die wievielte letzte Zigarette raucht sie denn?" Verfluchter Regisseur, verfluchter Idiot! Plötzlich lachte Margit. Sogar ihr Lachen fror und zitterte. Was machte sie hier? Seit sie hier stand, hatte sie weder an Liebe noch an Menschen gedacht noch an irgendwas über diese Brücke hinaus. Es war alles Illusion. Das ganze Leben einschließlich dieser Brücke einschließlich des unsichtbaren Mondes einschließlich... Es lohnte sich nicht. Ebenso wenig wie es sich lohnte, irgendetwas zu beenden. Es wurde nur einfach Zeit, ins Warme zu kommen. Runter von der Brücke, ins Auto, nach Hause, ins warme Bett. Margit lachte und fror immer noch, als sie vorsichtig, schon reichlich steif und nicht ganz trittfest von der ganzen Kälte, über die Schräge von der Brücke kletterte und dann mit weichen Knieen zum Auto ging. "Na also, warum nicht gleich so? Und weißt du was? Den ganzen Film kannst du dir sparen, das ist nichts. Ich geb dir nen guten Rat, Mädchen. Schreib ne Liebesgeschichte. Das mögen die Leute. Schreib sie so großartig, wie du willst. Große Gefühle sind wieder schwer im Kommen." "Aber..." "Nichts aber!" "Aber die Geschichte..." "Was für eine Geschichte?" "Margit's Geschichte." "Schreib sie um. Mach eine Liebesgeschichte draus. Und nenn sie nicht Margit, das ist viel zu Profan. Nenn sie Saskia, das regt die Leute zum Träumen an." Saskias Geschichte. Die großartigste Liebe hatte sie erlebt, und der großartigste Schmerz war ihr gefolgt. Rührender Anfang, rührender, melodramatischer Schluß. Wie alles begann...
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